öland 2013.

Tag 1. Dresden - Kalmar.

Dienstag, 02.07.2013

Erster Tag und wohl der längste überhaupt. Fünfzehneinhalb Stunden Zugfahrt sind bei aller Liebe zu Zügen doch mehr als genug. Verbringe die Zeit größtenteils in einem Dämmerzustand zwischen Wachen, Träumen und Schlafen. Die Anschlüsse sitzen und dank einer 30-minütigen Verspätung des Zuges von Kopenhagen nach Kalmar komme ich noch vor Schließung der Hostel-Rezeption an (nämlich 21.45 Uhr). Während im Zug die Horde an Kindern mit jeder Minute ungeduldiger und aufgekratzter wurde, sehnte ich mich nach Schlaf, nach echtem Schlaf, der diesen Namen auch verdient.

In meinem Zimmer ein wortkarger Schwede (glaube ich, zumindest hört er schwedisches Radio, was in seiner Nervigkeit und schlechten Musikauswahl dem deutschen in nichts nachsteht) und liest irgendein schwedisches Magazin. Mir zieht es die Augen zu, ich werde versuchen, ihm zum etwas leiser stellen zu bewegen und dann ein letztes Mal in ein Bett fallen, bevor morgen die Reise dann richtig beginnt.

02.07.13 22:16

---

Tag 2. (Kalmar -) Färjestaden - Degerhamn - Nybo.

Mittwoch, 03.07.2013



Der Schlaf tat gut. Knappe zehn Stunden habe ich benötigt, um wieder fit zu sein. Das Frühstücksbuffet ist riesig und kommt genau richtig. Ich mach mich erst nach 10.30 Uhr auf den Weg, was ein Fehler war, wie ich später merken werde. Die Fähre nach Öland fährt stündlich zwar, doch von 10.30 - 13.00 Uhr ist Mittagspause. Habe also noch über zwei Stunden Zeit. Besorge mir eine Karte für Öland im Tourisbüro und suche und finde eine Einkaufsmöglichkeit. 

Als ich dann endlich auf Öland ankomme, ist es gefühlt ein wenig wärmer als auf dem Festland. Nur der Wind, der ist etwas fröstelnd. Ich habe kein Ziel, außer einmal um die Insel zu fahren, also rolle ich gen Süden los. Bald verlasse ich die Stadt und treffe auch Nichts, Nichts, das Meer und ab und zu Felder und Windmühlen, sonst nichts und nichts und nichts. Einen mir entgegenkommenden Chilener ("Bro! I need air!") leihe ich meine Luftpumpe. [Auf der Fähre übrigens, um das nicht zu vergessen, habe ich auf schwedisch an einer Zufriedenheitsumfrage des Fährbetriebes teilgenommen - Kommunikation geglückt, Unterricht hat sich gelohnt!] 

Ich folge dem Ölandsleden und bin schon bald im nächsten Ort und im übernächsten. Komme mir ziemlich schnell vor, auf der Karte ist das südliche Ende nicht mehr weit entfernt. Mache Pause in Degerhamn, wo es zu meiner Überraschung ein Zementwerk gibt. Eine Zemetfabrik! Hier, im absoluten idyllischen Nichts! Unglaublich.

Abends, als die Beine sich bemerkbar machen, peile ich einen Campingplatz nahe Grönhögen an. Auf der Karte ist er zwar verzeichnet, nur in real existiert er nicht (mehr). Spiele mit dem Gedanken, mir einen Platz irgendwo im Nirgendwo zu suchen, als plötzlich unter einem Baum ein Campingplatz-Schild hervorlugt. Ich fahre auf den Platz, eine rechteckige, fein gemähte Rasenfläche. Kaum Leute sind hier, ich frage ein paar schwedische Rentner wie das hier funktioniert. Sie meinen, der Besitzer kommt mal morgens, mal abends schauen. Ich soll einfach aufbauen und bezahlen, wenn er da ist. (Auch das auf schwedische geklärt, yeah!) Er kommt dann auch bald, kann kein Wort englisch, also unterhalten wir uns auf schwedisch, auch das klappt. Bezahle unglaublich günstige 130:- SEK, gehe im ICA Nära (9-19!) noch schnell was einkaufen. An der Kasse sitzt wohl der Besitzer und seine Kinder sehen ihm beim Kassieren zu. Familienbetrieb im Einzelhandel, dass es das noch gibt!

Jetzt sitze ich am Hafen, der Wind frischt auf, bin mal auf die Nacht gespannt. Hoffentlich nicht zu kalt! Kann von hier aus das südliche Ende übrigens schon sehen!

03.07.13 20:25

---

Tag 3. Nybo - Ölands Södra Udde - Segerstad - Norra Möckleby - Bjärby.

Donnerstag, 04.07.2013



Übelste Nacht. Gewitter, Sturm, Regen! Die Öland-Gutwetter-Garantie gilt anscheinend nur tagsüber. Der Wind prescht den Regen an mein Zelt, das Gewitter nähert sich langsam von Süden aus, immer lauter und wilder wird es, die Blitze erhellen den kleinen Zeltplatz aufs Äußerste. Zum Glück hab ich das Zelt imprägniert (bis auf die Eingangstür, dort tropft es nach einer Stunde etwa auch herein...), bis auf ein paar Spritzer bleib ich trocken. Als das Gewitter direkt über dem Zeltplatz ist, muss ich mir die Ohren zuhalten, so laut kracht es. 

Irgendwann, ich glaube gegen 02.30 Uhr wird es weniger, es zieht nach Norden und ich schlafe wieder ein. Am Morgen regnet es leicht. Als es gegen frühen Mittag aufhört, breche ich auf, hoffentlich hält das Wetter. Fahre durch unfassbares Steppenland, fühle mich an den König der Löwen erinnert, nur das alles hier immer noch Schweden ist. Schon verrückt, wie die Vegetation von Jetzt auf Gleich so anders ist. Am Lången Jan, dem Leuchtturm an Ölands südlichster Spitze angekommen, trinke ich einen Kaffee und schlendere durch die Gegend. Freilaufende Kühe, hunderttausende Vögel und das Meer. Eine eigenartige Kulisse, dazu das Ödland - alles wirkt so unwirklich faszinierend. Alles, was danach folgt, kann dem gerade Erlebten nicht das Wasser reichen. Dorf an Dorf, hier und da leerstehende Gebäude (drei ehemalige ICAs - ich hätte einen gebraucht, die Godis waren alle) und unendliches Nichts. Ab und zu ein Mensch, der grüßt, sonst Straße, Wald und Dorf. Das Wetter ist mittlerweile ausgezeichnet, leicht bewölkt, angenehm warm.

Nach unzähligen Dörfern spür ich meine Beine. Durchweg etwa 25 km/h machen sich bemerkbar. Doch nirgendwo ein Campingplatz oder etwas zum Einkaufen, absolute Ödnis. Und wie gestern stoße ich auf einen nicht in der Karte verzeichneten Zeltplatz, auf dem eine Übernachtung 50:-SEK kostet. Wenn das so weitergeht, wird das Ganze hier preiswerter als gedacht. Mein Zelt steht im Wald und dennoch direkt am Meer, ich kann die Wellen hier hören. Die Sonne scheint ins Zelt, die Musik läuft, alles ist gut. Sitze am Strand, esse, lese Kafka. Der Wind frischt minütlich auf, eine Jacke tut Not, während die Sonne dennoch kräftig ist.

Heute Nacht hoffe ich auf ruhigeres Wetter. Auch wenn ich nun weiß, dass mein Zelt mehr aushält, als ich dachte. Morgen dann noch eine lange Fahrt bis zum nächsten Campingplatz, doch dann habe ich schon mehr geschafft, als ich zu diesem Zeitpunkt gedacht hätte.

04.07.13 20:08

---

Tag 4. Bjärby - Södvik - Källa - Löttorp - Böda Sand.

Freitag, 05.07.2013



Die Nacht war ausgesprochen ruhig. Kein Gewitter, kein Regen. Als ich aus dem Zelt krieche, ist es jedoch stark bewölkt. Es sieht nach Regen aus, doch das sah es gestern auch oft. Also breche ich mit dem Ziel Sandkullen auf (das ich aber am Ende des Tages weit überschritten werden habe...) Ich fahre durch die altbekannten Dörfer, doch einen Unterschied gibt es: Zivilisation stellt sich ein, hier und da tauchen Cafés aus dem Nichts auf. An jeder Straßenecke weißt ein Schild (Loppis!) darauf hin, dass irgendwer seinen alten Krempel verkauft. 

Nach hunderten Windmühlen bekomme ich langsam Hunger, und auch der Kaffeeentzug am Morgen macht sich bemerkbar. Doch gerade jetzt nirgends ein Café zu sehen. Mache kurz in einem Dorf auf einer Wiese Rast, nur kurz, die Sonne ist zu stark. Ja, die Sonne; die starken Wolken haben sich an die Inselränder verzogen. Dann, als die Nahrungsaufnahme der Wiesenpause aufgebraucht ist und der Hunger am größten und die Beine und der Rest des Körpers am schwersten, fahre ich in Södvik auf ein Café  zu, aus dem es schon aus der Ferne her duftet. - Im Übrigen habe ich mir an diesem Tag drei Ziele gesetzt: 1. Pizza essen, 2. Einen ICA oder ähnliches finden und 3. duschen - ersteres geht an dieser Stelle in Erfüllung: in dem Café werden auch Pizzen gebacken. Eine Stunde oder mehr verbringe ich da, als eine alte Dame mit zu viel Bart für eine Dame mich anspricht. Wir unterhalten uns kurz (auf schwedisch) über das Wetter, meine Tour, die Insel. Sie erzählt, dass eine Menge Deutsche hier leben und noch mehr hierher in den Urlaub kämen. Da muss ich an das "Schnitzelhaus" denken, das ich auf dem Weg sah. 

Kurz nachdem ich weiterfahre, stoße ich in Källa auf einen ICA und so ist auch Wunsch zwei erfüllt. Die weitere Strecke führt zuerst nach Löttorp und plötzlich ist Schluss mit Einöde. Eine richtige Stadt ist das und schon habe ich mich kurz verfahren, das Ölandsleden-Schild, es war weg, auf einmal. Im Übrigen liegt das ursprüngliche Ziel schon eine ganze Weile hinter mir. 15 Uhr wollte ich den Tag dann doch noch nicht beenden.

Ich fahre weiter durch kleine Dörfer und Wald, bis ich schließlich kurz nach sechs zum Böda Sand Camping Platz komme. Und gleich wieder umdrehe. Schreckliches Riesen-Camping-Party-Familien-Adventurepark-Ding! Suche den auf der Karte etwa vier Kilometer entfernten nächsten Zeltplatz und finde ihn nicht. Es gibt ihn nicht. Und da es schon nach sieben ist und ich seit 10.30 Uhr unterwegs bin, checke ich zähneknirschend in diesem Unding ein. Wildzelten kann man hier übrigens nicht - Naturschutzgebiet...

Jetzt sitze ich in meinem Zelt während draußen die Party tobt. Ab und zu belustigen sich schwedische Kinder über mein "lilla tent", Autos fahren vorbei. Nachtruhe ist freitags erst 24 Uhr, ich denke das wird eine kurze Nacht. Wenigstens konnte ich duschen und somit alle drei Ziele des heutigen Tages erreichen. Und morgen früh gibt es hier Kaffee. Und vermutlich schlafe ich trotz allem gleich ein, heute waren es zu meiner Überraschung fast 100 km, morgen werde ich bereits am Långe Erik sein, am nördlichen Ende der Insel. Schneller als gedacht.

05.07.13 22:25

---

Tag 5. Böda - Trollskogen - Ölands Norra Udde - Byxelkrok - Sandvik - Sjölund.

Samstag, 06.07.2013



Auch trotz des Betriebs und der Horde von Jugendlichen habe ich gut geschlafen. Leider schien ab acht Uhr etwa die Sonne direkt in mein Zelt, sodass ich es vor Wärme nicht mehr aushielt. Also raus und wenigstens gleich einen Kaffee. Gute Idee, die hatte ich aber nicht alleine, am Bäckerstand eine exorbitant lange und mir entschieden zu lange Schlange. Ich hätte ja noch den überteuerten Kaffee in Kauf genommen, aber dafür auch noch ewig anstehen - niemals. Also verschiebe ich den Kaffee auf später, frühstücke, checke so schnell es geht aus, bloß raus hier. Aber: die gute Frau an der Rezeption hat mir trotz dass ich meine Campingcard zuhause gelassen habe, nur den normalen Preis (245:-SEK!) berechnet. Teuer zwar, da ich aber die letzten Nächte gut gespart habe, schon in Ordnung. Also breche ich auf.

Mein erstes Ziel soll der Trollskogen, der Trollwald sein. Und magisch ist er allemal: bizarre windschiefe Bäume, Riesenbäume, um die herum kleine Kletterpflanzen sich ihren Weg in die Höhe bahnen, bewachsene Pfade und Wegchen... immer mal wieder blitzt das Meer auf, und als Hauptüberraschung: ein Schiffswrack, das hier wohl 1926 gestrandet ist. Eine geradezu atemberaubende Kulisse. Verbringe lange Zeit in diesem zauberhaften Wald, erst gegen 13.30 Uhr fahre ich Richtung Långe Erik weiter, den ich vom Trollskogen aus schon sehen kann.

Dort angekommen, gegen zwei Uhr, gibts den zweiten Kaffee des Tages (den ersten gabs beim Trollskogen). Ich gehe um den Leuchtturm herum und setze mich an der nördlichsten Spitze der Insel ans Meer. Eine Art violette Margerite bewächst diesen sonst steinkargen Winkel der Insel. Ringsherum Meer und Sonne und Himmel und Wellen. Schaue lange den Möwen beim Ins-Wasser-stürzen zu; immer, wenn sie einen Fisch wittern, stürzen sie sich im Sturzflug senkrecht gen Wasseroberfläche. Faszinierend. Und so vergeht die Zeit. (Im Übrigen gewinnt Långe Jan gegen Långe Erik, im Süden war die unwirkliche Steppenlandschaft atemberaubender.) Es ist drei, als ich zum Hauptteil der Strecke aufbreche.

Kurz darauf bin ich in Byxelkrok, auch eine schon wieder etwas größere Stadt. Menschen, Läden und eine Fährverbindung zum Festland. Fahre an vielen kleinen Zeltplätzen vorbei, hoffe solcher Art auch später am Tage noch anzutreffen. Irgendwann denke ich, durch den Wald hier gibt es laut Karte auch eine Abkürzung und fahre den nur menschenbreiten Weg hinein. Kurz darauf schiebe ich fluchend das Rad durch Sand und verstehe, warum das nur als Fußweg gekennzeichnet war. Zurück auf dem Weg, der hier wunderschön an der Küste verläuft, bessert sich der Untergrund allmählich um darauf richtig mies zu werden. Wildpflaster könnte man meinen, aber am Ende ist es einfach nur Schutt, Kies und viel zu große Steine. Meine Fahrtgeschwindigkeit beläuft sich auf maximal 9 km/h, meine Laune sinkt. Noch dazu geht dieser Weg schon endlos lang. Sandvik liegt schon ein Stück weit hinter mir und nirgends ein Zeltplatz in Sicht.

So beschließe ich, wenn auch mit grummelnden Magen, hier, direkt am Meer zu zelten. Es ist beinahe windstill und kaum bewölkt - das könnte doch ganz angenehm werden. Überlege jedoch lange, ob ich nicht lieber doch noch ein Stück weiterfahre, vielleicht kommt ja doch noch ein Zeltplatz. Aber ich bleibe. Als ich aufgebaut habe, sehe ich, wie ca. 100 m von mir entfernt auch Leute ihr Zelt aufbauen. So bekommt das Ganze etwas Zeltplatzcharakter und das unwohle Gefühl verfliegt. 

Jetzt sitze ich hier und habe Zeit, den Sonnenuntergang zu beobachten, am Meer, das erste Mal auf dieser Reise. Morgen geht es dann weiter Richtung Färjestaden, dem Start- und Zielpunkt meiner Reise um Öland.

06.07.13 20:25

---

Tag 6. Sjölund - Köpingsvik - Färjestaden.

Sonntag, 07.07.2013



Die erste, meine erste Nacht Wildcamping war ruhig, fast zu ruhig, ich hörte jedes kleine Geräusch jedes noch so kleinen Tieres um mich herum, versuchte am Horchen zu erkennen, um was es sich handelte. Ist es ein Vogel? Davon gibt es hier viele. Eine Maus? Könnte sein, vielleicht lebt sie im angrenzenden Gebüsch. Eine Katze? Schön wärs, aber unrealistisch, weil zu groß. Vor lauter angestrengtem Hören und Lauschen kann ich erst gar nicht einschlafen, doch irgendwann falle ich in einen allerdings nicht sehr tiefen Schlaf. Es ist kühl diese Nacht, das heißt temperaturmäßig gesehen nicht, dich die Luftfeuchte muss wohl um die 170% liegen, mindestens. Ziehe mir den Schlafsack bis zu den Ohren, die Kälte kriecht ganz schön, und sie kriecht in jede Pore, die ihr angeboten wird.

Am nächsten Morgen scheint bereits um fünf Uhr die Sonne knallhart von hinten ins Zelt. Bis halb neun halte ich es noch aus, ohne Schlafsack, ohne Klamotten, dann beginne ich zu zerlaufen und klettere hinaus. Ein umwerfender Anblick. Unfassbar blauer Himmel und vor mir das Meer, so still, als wäre es gemalt. Sitze eine ganze Weile, um mich herum summt und brummt es, überall sind lustige kleine gelbe Käfer, die auch noch fliegen können. 

Gegen zehn Uhr breche ich zur letzten Etappe dieser Tour auf. Heute abend werde ich wieder am Ausgangspunkt sein, in Färjestaden. Lege zunächst den Rest des nerviges Geröllweges zurück, bevor ich endlich wieder mit knapp 30 km/h durch die Dörfer düsen darf. Doch das dauert nur kurz: es geht sogleich bergauf; leicht, aber stetig und der Wind ist heute gegen mich. Bin dennoch dreißig Minuten eher als geplant in Köpingsvik. (Ich glaube, ich überschätze die Entfernungen seit Beginn der Reise täglich...) Esse einen unglaublich überteuerten Salat (89:-SEK! Zum Vergleich: in der zweiten Nacht bekam ich für 50:-SEK einen Zeltplatz!), decke mich mit Wasser und Godis im ICA ein und setzte die Fahrt nach zwei starken aber unbedingt notwendigen Tassen Kaffee fort.

Die Begebenheiten (Gegenwind, leicht bergauf) bleiben. Hin und wieder sticht ein Mohnblumenfeld knallrot hervor. So langsam steigt der Gedanke in mir auf, dass diese Reise ihrem Ende entgegen geht. Und doch bin ich nicht traurig, höchstens ein wenig wehmütig. Es ist von all den Schweden-Radreisen der letzten Jahre die erste, die nicht vorzeitig aufgegeben oder abgebrochen wurde. Das ist ein ungemein gutes Gefühl. 

Gegen 15.30 Uhr komme ich am Hafen von Färjestaden an, dem Punkt, von ich Dienstagmittag gestartet bin. Ich checke im Zeltplatz ein, der liegt direkt neben der Fähre, das lässt mich morgen länger schlafen, als auf einem anderen Platz. Gehe anschließend etwas durch die Stadt, doch das ist eher ernüchternd. Ölands größtes Kaufhaus, ein Lacher. 70% davon gehören einem ICA Kvantum, der Rest den schwedischen Standards H&M, Lindex undsoweiter. Auch das Stadtzentrum besteht aus nicht mehr als effektiv einer großen Straße (Storgatan, welch Überraschung) mit ein paar Restaurants links und rechts. Das meiste Leben scheint auf dem Zeltplatz und am Hafen zu sein.

Trinke Kaffee, schreibe Postkarten, der Wind weht drei Briefmarken davon, ich kaufe fünf neue zum Preis von zwei (ganz klarer Kassiererfehler!) und sende die Karten ab. Zurück am Zeltplatz springe ich im Anfall einer Laune ins Meer. Das Wasser ist angenehm warm, nur der Wind lässt mich beim Herauskommen frösteln. Deswegen gleich im Anschluss eine viel zu lange viel zu warme Dusche. Ich fühle mich wie neugeboren. Habe allerdings Sonnenbrand an einer Schulter, das widerspricht dem Neugeborenen-Gefühl komplett. Und Mückenstiche, überall! Aber man klagt ja nicht.

Zum Abendessen gibts Pizza und Salat und Chips und Kafka und Sonnenuntergang über der Ölandsbrücke. Morgen um zehn nehme ich die Fähre zurück aufs Festland, steige in den Zug nach Malmö. Das Hostel in Trelleborg ist schon gebucht, das wird auch immer teurer, aber was solls. Ganz ehrlich: auf ein richtiges Bett freue ich mich doch schon wieder ein bisschen.

07.07.13 22:28

---

Tag 7. Färjestaden - Kalmar - Malmö - Trelleborg.

Montag, 08.07.2013



An diesem Morgen scheint de Sonne zu einer unmöglichen Zeit knallhart ins Zelt. Noch dazu machen wilde Horden von Möwen tierischen Lärm und ich, mit Sonnenbrand an linker Schulter liegepositionseingeschränkt möchte doch nur noch ein wenig weiterschlafen! Bis um 10 Uhr die Fähre fährt, ist doch noch Zeit. Bis acht halt ich es aus, dann gebe ich auf, hole Kaffee - der erste direkt nach dem Aufstehen seit dem Hostel in Kalmar - und frühstücke, packe zusammen und fahre zur Fähre, die pünktlich den Hafen verlässt und mit mir und meinem Rad gen Festland schippert. Ein letzter Blick nach Öland. Schön war es gewesen.

Auch der Zug aus Kalmar ist pünktlich, so komme ich kurz nach zwei in Malmö an. Und diese Stadt ist seit ich sie kenne in einem scheinbar unaufhaltsamen Expansionsdrang. Schon wieder: überall Bagger, Schilder verkünden von neuen Riesengebäuden mit glamouröser Glasfront; am Stadtrand entstehen alle paar Meter scheinbar ganze neue Stadtteile. Ich frage mich, wie viele Reihenhaussiedlungen noch an den Malmöer Rand geklatscht werden sollen. Vielleicht will Malmö unbedingt Schwedens größte Stadt werden...

Und was mir auch nur auffällt - aber vielleicht fällt mir das nur auf, weil ich eine Woche im Quasinichts verbracht habe - Malmö so überhip, als wäre hier die Hipsterness erfunden worden. Und auf dem Weg nach Trelleborg wieder gewohnte Ödnis und dörfliche Stille. Kontraste, Kontraste!

Gehe in Trelleborg als erstes Fährtickets für morgen kaufen und glaube mich zu verhören, als die Verkäuferin etwas von 460:- SEK sagt. Umgerechnet 53 Euro für eine Fährüberfahrt, die letztes Jahr noch 25 Euro kam. Irgendwas muss in der Zwischenzeit passiert sein. Auch die Hostelpreise haben kräftig angezogen. Also gebe ich am letzten Tag (wenn auch ungewollt) mein letztes Bargeld aus. Nach einer Pizza und einer warmen Dusche wirds Zeit für die letzte Nacht in Schweden für diesen Sommer, morgen 7.30 Uhr geht die Fähre nach Rostock.

08.07.13 22:55

---

Tag 8. Trelleborg - Rostock - Berlin - Elsterwerda - Dresden.

Dienstag, 09.07.2013




Ich schlafe schnell ein. Kann mich noch erinnern, letztes Jahr am letzten Abend im Trelleborger Hostel fiel mir das unglaublich schwer. Aber diesmal ging es trotz der altbekannten überdurchschnittlich hohen Hellhörigkeit des Hostels schnell.

Als ich gegen halb sechs morgens in den Frühstücksraum nach oben gehe, stelle ich fest, dass irgendein Mitgast einen meiner heißgeliebten Joghurtdrinks geklaut hat. Also bleibt mir nur einer für die Fährüberfahrt, zu der ich dann auch bald aufbrechen sollte; 6.30 Uhr ist späteste Check-In-Zeit und die erreiche ich auch fast genau. An Bord der Fähre Niesanfälle, ich frage mich, ob es Heuschnupfen ist, es fühlt sich so an - Heimfahrtsheuschnupfen gewissermaßen.

Kurze Zeit nachdem wir abgefahren sind, setzt sich ein älteres schwedisches Ehepaar zu mir. Nach einigen Stunden zwischen Dösen, Kaffee, Schlaf und aus dem Fenster starren beginnt eine Unterhaltung mit der Frage nach dem Preis des Wienerbröds, das ich esse. So kommen wir ins Gespräch, das alles auf schwedisch, reden über Tee aus Zwiebel gegen Husten und die Kraft der Natur, über Öland, Kalmar, Skåne, ihre ursprüngliche Heimat Jugoslawien; schließlich, als der Mann wach wird und ich erfahre, dass er Pastor ist, geht es um Religion und Philosophie, kurz um Nietzsche, Goethe und all die kleinen Wahrheiten, die aber eigentlich ganz groß sind. Was ich eigentlich damit sagen möchte: ich war überrascht und auch ein kleines bisschen stolz, dass ich mich über lange Zeit - es waren bestimmt drei Stunden - auf schwedisch unterhalten kann und auf gegenseitiges Verständnis stoße. Ich verstehe zwar nicht 100% der Wörter, aber den Kontext und vielleicht 90% der Wörter schon. Und das ist ein schönes Gefühl. -

Als Rostock am Horizont erscheint, sich das Gespräch dem Ende neigt, werde ich doch ein wenig traurig, dass das für gewisse Zeit doch das letzte ernsthafte schwedische Gespräch war...

Fahre zum Bahnhof, habe noch gut eineinhalb Stunden bis der Zug kommt, genug für Döner und Kaffee und Eis, es ist auch in Deutschland ziemlich stark sommerlich. Der Zug fährt schnell, ist oft ein wenig eher an den Bahnhöfen, der Schaffner meint, heute läuft es recht gut, und dann, kurz vor Berlin fünfzehn Minuten Stillstand. Und natürlich ist der Anschlusszug weg und ich sitze wieder einmal in meiner Lieblingsstadt fest. Ganze zwei Stunden. Wie ich mich freue. Stehe vorm Bahnhof, beobachte die Menschen und fühle mich manchmal selbst  von einem korpulenten Mann mit weißem Hemd, Sonnenbrille und Headphone beobachtet, der, in seiner Aufmachung ein wenig an das Killerkommando aus dem Tatort erinnert. Aber vielleicht bilde ich mir das alles nur ein, sehr wahrscheinlich bilde ich mir das alles ein, denn irgendwann verschwindet der Mann, nachdem er eine geraucht hat. 

Jetzt, es ist bereits 22:22 Uhr sitze ich im völlig überheizten weil einfach nicht klimatisierten Bummelzug nach Elsterwerda, gerade ist ein Vogel bei voller Fahrt frontal gegen die Scheibe geflogen und sie durch die Wucht zerspringen lassen. Laut Plan bin ich 0:51 Uhr in Dresden, damit ist die Rückfahrt noch etwas länger als die Hinfahrt und ich bin von Trelleborg - viel weiter südlich als Kalmar - gestartet. Nunja. Mittlerweile haben wir schon wieder zehn Minuten Verspätung. Sehe mich schon die Nacht in Elsterwerda verbringen. Es bleibt spannend.

Im Zug Gespräche über die Sinnlosigkeit der Schnelllebigkeit; darüber, dass eine richtig schöne Flut den Menschen gut tut, sie endlich einmal denken lässt, über Sterbehilfe und Krankenhaus-Kapitalismus, Philosophie und Pädagogik, das Schauspielerjahr, welches das (damalige) westdeutsche 13. Schuljahr war und über Dinge, die man tut um den Kopf frei zu bekommen, Burn-Out und japanische Heiltherapie im Schwarzwald; das alles mit einer Frau mittleren Alters, die aber beängstigend oft vom Ende ihres Lebens spricht, in einer Montessori-Schule in Bautzen arbeitet, aus Lingen im Westen kommt und ebenfalls in Berlin im Hauptbahnhofirrsinn ihren Zug nach Dresden verpasste. In Elsterwerda wird sie abgeholt und ich bestreite die letzten Stunden allein; im Zug nur Verspätungsopfer, alle mit müden Augen in der Hoffnung, bald in Dresden zu sein. So auch ich. Nächster Halt Priestewitz, wir nähern uns, ich nähere mich Dresden, die Reise nähert sich dem Ende.

Schön war es gewesen. Ziel erreicht, keine quälenden Gedanken mit mir herumgetragen und deshalb zufrieden - zumindest vorerst - bald wieder zuhause.

Over und out. Tack för det.

10.07.13 00:14

---