abisko/narvik 2014.

Tag 1. Dresden - Kopenhagen. 

Sonntag, 12.01.2014


Der Bahnsteig ist fast leer, die meisten Menschen wollen anscheinend eh nach Amsterdam, nur wenige steigen in die Wagen nach Kopenhagen. In unserem Abteil sitzen zwei ziemlich junge Dänen und spielen Karten. Und ein älterer Herr, Kopfhörer und eine dezente Schnapsfahne. Schätze ihn als Hamburger Schiffsarbeiter ein, der sich sonntäglich mit dem Nachtzug auf Arbeit quält und kurz vor vier missgelaunt aussteigt und auf Arbeit stolpert ob der zwei drei Schnäpse in seinem Kreislauf. Er stellt sich schließlich als Däne heraus. Das mit der Schnapsfahne bleibt aber. Die jungen Dänen spielen unaufhörlich Karten, der alte Däne nickt immer wieder ein, auch wir spüren eine leichte Müdigkeit. Irgendwann gegen elf, nach unzähligen Runden Karten und Stadt-Land-Fluss auf dänisch beschließen sie dann, dass sie auch müde sind und das Abteil verwandelt sich in ein Schlafabteil. Ich schlafe unten, obwohl ich ein oberes Bett gebucht habe, aber das ist okay. Die turtelnden Dänen wollen ungestört sein, verständlich.

In Berlin werde ich wach, draußen im Gang herrscht Tumult. "It's too late for a ticket" höre ich immer wieder und aufgeregte Rufe in einer Sprache, die ich nicht verstehe. Dann wird es wieder ruhig, abgesehen vom harten Ab- und Umkoppeln der Waggons. Im Nachbarabteil wird ein Pivo nach dem nächsten geleert und irgendwann riecht es nach Rauch. Die untere Liege ist viel härter als die anderen scheint mir, die Luft ist trocken, zu trocken. Schlafen ist schwierig diese Nacht.


Tag 2. Kopenhagen - Stockholm (-Boden). 

Montag, 13.01.2014



Am nächsten Morgen wache ich auf, draußen ist Padborg. Es ist kurz nach neun Uhr, in einer Stunde sollten wir in Kopenhagen sein. Doch nichts geht mehr. Gleisbruch. Der Zug stand und steht noch über eine Stunde still. Im Nachbarabteil Gesänge in einer Sprache, die ich nicht verstehe und immer wieder Pivo und penetranter Rauchgeruch. Wir kommen schließlich mit vier Stunden Verspätung in Kopenhagen an. Wenigstens gab es Kaffee gratis. Pivo ist alle, sehr zur Enttäuschung des Nachbarabteils. 

Unser Anschluss ist weg. Bekommen problem- und kostenlos Ersatz und nehmen den nächsten X2000 nach Stockholm. Sitzplatz am Fenster ohne Fenster. In Stockholm vegane Pizza, draußen, bei minus sieben Grad. Coolness ist was du daraus machst. Haben drei Stunden Zeit bis der Nachtzug nach Boden abfährt. In unserem Abteil sind vier ältere Schweden, einer im oberen Bett fängt sofort hart zu schnarchen an. Lese noch ein wenig und lasse mich vom Schlaf übermannen, der, nach der letzten relativ schlaflosen Nacht und dem doch schon etwas stressigen Tag, gerade recht kommt. Das Rattern des Zuges, das Sägen des Mannes im oberen Bett und die allgemeine Müdigkeit lassen mich fast die ganze Nacht durchschlafen. Dazu kommt noch die Bequemlichkeit schwedischer Nachtzüge: weiche Betten, angenehmes Klima und warme Decken. Nichts schöner als das.

Tag 3. (Boden -) Gällivare - Kiruna - Abisko. 

Dienstag, 14.01.2014



Pünktlich kommt der Zug in Boden an, pünktlich fahren wir auch mit dem Anschlusszug weiter. Soweit so gut, die aktuelle Verspätung beträgt immer noch vier Stunden. Doch schon nach kurzer Zeit und kurzem intensiven Hupen des Zuges verringert sich unsere Geschwindigkeit auf ein Minimum. Der Grund ist so einfach wie banal: Rentiere. Wir haben drei Rentiere vor dem Zug und sie gehen einfach nicht weg. Sie laufen, manchmal rennen sie ein Stück, oft bleiben sie stehen und suchen nach Essen im Schnee. Durch den tonnenschweren, hin und wieder rhythmisch hupenden Zug hinter ihnen lassen sie sich überhaupt nicht beirren. Bis zum nächsten Dorf drosseln sie uns und ziehen uns hinter ihnen her. Eine ganze Stunde kriechen wir durch die verschneite, magische schwedische Winterlandschaft. Es beginnt bereits wieder zu dämmern. Als die Rentiere die Gleise verlassen, sind wir knappe fünfzig Minuten verspätet. Der Himmel geht von einem matten blau in ein schwammiges Rot über, keine Wolke, dafür Vollmond. Die Bäume biegen sich unter der Last des Schnees. Soweit das Auge reicht: Schnee, Wald, Einsamkeit, magisches Farbspiel. Das alles wirkt surreal, bizarr, als wäre es nicht wirklich.

Bis Gällivare fahren wir wieder schnell, nur um dann die Fahrt im Bus fortzusetzen. Eine Stromleitung gab den Geist auf und die Strecke zwischen Gällivare und Kiruna ist stromlos. Der Busfahrer ist wahnsinnig gut gelaunt und begrüßt uns alle mit einem Witz. Ich verstehe nicht viel, es geht um einen Priester, einen Busfahrer und eine in der Kirche vor Langeweile schlafenden Gemeinde, die erst durch die Ankunft des Busfahrers wieder aufwacht. Die Menschen lachen und applaudieren, ich versuche mich kurz an die genervt-motzenden Gesichter in deutschen Schienenersatzverkehrbussen zu erinnern und muss lachen. 

In Kiruna wartet der Anschlusszug auf uns, dort gibt es gratis Kaffee und Kanelbullar als Entschädigung und als sich die Fahrt fortsetzt, ist es bereits stockdunkel draußen. Mit insgesamt knapp sechs Stunden Verspätung kommen wir im Hostel in Abisko an, checken ein und ziehen uns warm an. Minus sechsundzwanzig Grad zeigt das Außenthermometer. Gehen ins Dorf. Die Nasenhaare gefrieren, an den Wimpern bilden sich in kurzer Zeit kleine Eiszapfen. Es ist wahnsinnig still, nur ab und zu hört man entfernt ein Auto oder ein LKW. Im Dorf kein Mensch. Der Coop hat bereits geschlossen und wir haben nichts zu essen und Hunger. Nicht gut, aber zurück im Hostel hat das Restaurant ein Erbarmen und bereitet uns noch eine Suppe zum kleinen Preis. Gehen nach dem Essen nochmal raus, als die Restaurantangestellte uns auf die draußen zu sehenden Polarlichter hinweist. Und wirklich: nach drei Jahren verzweifeltem In-den-Himmel-starren sehe ich sie. Grün, tanzend, mal länglich, mal als eine Art breiter Schatten im Himmel. Gehen durch die Nacht, alles friert ein, meine Kamera gibt den Geist auf vor Kälte. Gehen runter zum See, der komplett zugefroren ist. Stille, niemand in der Nähe. Am Himmel ab und zu grüne Lichter. Der See macht Geräusche, es klingt, als würde sich etwas unter der Eisfläche bewegen, schwimmen und hinauswollen. Der vollmond taucht die Szenerie in ein helles Licht, jeder Schritt knarscht, die Zehenspitzen sind zu spüren. 

Als die Lichter sich zurückziehen bzw. weiterziehen begeben auch wir uns zurück zum Hostel. Die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, alles ist von Eis bedeckt, die Augen frieren zu. Minus siebenundzwanzig Grad zeigt das Thermometer, so kalt war es die letzten Jahre nicht. Eine viel zu warme Dusche temperiert den Körper wieder in Normalzustand. Das Einschlafen geht schnell, das Bett ist bequem und warm und bewegt sich nicht. So soll es sein.


Tag 4. Abisko. 

Mittwoch, 15.01.2014



Der Tag beginnt kurz nach neun mit einem großen Frühstücksbuffet im Hostel, das zwar relativ teuer ist, aber dennoch gerade recht kommt. Heute müssen wir es vor 19 Uhr zum Coop schaffen, dann wird das morgige Frühstück auch günstiger und das Aufstehen auf eine spätere Zeit verlegt. Im Urlaub kurz vor neun aufstehen ist nicht das Idealste. Aber wie gesagt: das äußerst gute Frühstück, der Kaffee und die Umgebung lassen die Zeit in den Hintergrund rücken. 

Gehen nach dem Frühstück raus, runter zum Canyon. Eisschichten, gefrorene Wasserfälle und ab und zu noch etwas Wasser. Es ist still hier draußen, nur das Wasser macht ab und zu Geräusche. Die Wege scheinen ungefähr zwanzig Zentimeter breit zu sein, tritt man etwas abseits, versinkt man beinahe bis zum Knie im Schnee. Kein Mensch kommt uns entgegen, obwohl unsere Zimmermitbewohnerin eigentlich dieselbe Strecke laufen wollte. Wir treffen sie nicht. So wie überhaupt die meiste Zeit: kein Mensch, nirgends. Fragen uns, ob wir die falschen Wege gehen oder ob alle anderen nur hier sind um nachts zur Sky Station hochzufahren und dafür knapp sechzig Euro bereit sind zu bezahlen. Wahrscheinlich letzteres. 

Der Weg führt entlang des zugefrorenen Canyons, atemberaubende Bilder tun sich auf. Unter dem Eis erahnt man Wasser, am Himmel die surrealsten Farben, es wird bald eins, die Sonne wird bald untergehen und das, obwohl sie noch nicht mal richtig zu sehen war. Wärmen uns im Hostel auf. Nicht nur meiner Kamera ist es zu kalt - ab einer gewissen zeit im Freien verweigert sie immer noch ihren Dienst - auch meine Finger- und Zehenspitzen werden zunehmends kälter. 

Gehen kurz darauf wieder raus, zum Kungsleden, einem mehrere hundert Kilometer langen Wanderweg durch Nordschweden, dessen Endpunkt etwas südlich vom Polarkreis liegt. Laufen kurze Zeit durch den Wald um dann an einem zugeforenen Fluss anzukommen. Er trägt uns und so verbringen wir eine Zeit da. Staunend über die Stille, über das Farbspiel am Himmel und über die wahnsinnig feste Eisschicht, die den Fluss überzieht. Der Weg ist von roten Kreuzen markiert, die wie die Schilder an Zugstrecken erinnern, Weichensymbole etwa. Doch der Weg führt immer geradeaus, links und rechts sieht man nicht mehr als Tierspuren, Skispuren und ab und zu Fußstapfen von Menschen. Der Weg führt am Fluss entlang, und auf einmal sehen wir eine Höhle auf dem vereisten Fluss, in der man das Wasser fließen hört. Die Eisschicht, die sich auf dem Fluss gebildet hat, ist ungefähr fünfundzwanzig Zentimeter hoch. 

An einer Kreuzung biegen wir links ab, obwohl die Rotkreuzbeschilderung nach rechts verweist. Es ist fast dunkel und wir müssen noch in den Coop. Der Weg endet irgendwann an einem zugefrorenen See und es gibt keinen weiteren Weg. Am Horizont ist ein Licht zu sehen, ich meine das Hostel zu erkennen. Doch als das Licht immer größer wird und heller, stelle ich fest, dass es der übergroße Vollmond ist, der sich hinter einem kleinen Wolkenschleier hervorschiebt. Er erhellt den Wald unglaublich, teilweise blendet es auf dem Rückweg so sehr, dass die kleinen Äste der Bäume, die sich uns in den Weg stellen nicht mehr zu erkennen sind. Da wir denselben Weg zurücknehmen, wie wir gekommen sind, bietet sich uns die schon bekannte Szenerie nun noch einmal im Dunklen. Nur der Mond erleuchtet den Wald, den Fluss, das Eis, die Stille. In der Ferne hört man zwei Menschen, sie sind auf der gegenüberliegenden Seite des Flusses und haben wahrscheinlich dasselbe Ziel wie wir. Im Übrigen habe ich einen Weg gefunden, die Kamera trotz Kälte funktionstüchtig zu erhalten: den Akku in den Handschuh und er bleibt warm, die Kamera in die Hose, nah am Körper und sie bleibt warm und das funktioniert ganz wunderbar.

Zurück im Hostel kurze Pause, dann zum Coop und für viel Geld viel tolles Zeug gekauft. Nudeln gekocht, ein richtiges warmes Essen nach diesem doch schon sehr langem Tag tut gut. Verbringen den restlichen Abend im Aufenthaltsraum im Hostel, bis es von draußen klopft. Polarlichter. Hatten uns schon damit abgefunden, heute keine zu sehen, die Forecast sagte zumindest nichts voraus. Doch da waren sie wieder. Rennen in unseren Stadtklamotten hinaus in die Kälte, die gar nicht so kalt ist. Der Himmel ist grün, es tanzt und verschwindet und kommt wieder und verschwindet. Gehen wieder hinein, nur um bald darauf wieder hinauszustürzen, denn die Aktivität hat sich noch einmal verstärkt. So verbringen wir den restlichen Abend: zwischen gemütlichen Herumlungern und hektischen Ins-Kalte-stürzen und verblüfft in den Himmel starren. Nach und nach wechselns wir das bequeme gegen das warme Outfit. Erst kurz vor zwei Uhr scheinen die Aktivitäten vollends verschwunden zu sein und wir gehen zurück zum Zimmer. 

Zwei Abende in Abisko, zwei Abende Polarlichter. Endlich.

Tag 5. Abisko. 

Donnerstag, 16.01.2014


Heute ein Aufwachen zu einer etwas genehmeren Zeit. Erst nach zehn Uhr frühstücken wir und das auch ausreichend lange. Kaufen uns für die morgige Weiterfahrt nach Narvik ein Ticket und beschließen, später mit dem Lift auf den Berg hinaufzufahren, den wir immer sehen. Doch an der Rezeption erfahren wir, dass der Lift erst ab Februar regulär geöffnet hat. Zur Zeit öffnet er nur für die Aurora Sky Station Experiences ab 21 Uhr und diese kosten 600:- SEK. Das ist uns zu teuer also beschließen wir noch einmal Richtung See zu gehen, wo wir schon am ersten Abend waren. Damit wir auch tagsüber mal da unten gewesen sind. Biegen doch auf einen anderen Pfad ab und kommen schließlich zu einer kleinen Aussichtsplattform auf erhöhtem Terrain; eine Vogelbeobachtungsstelle. Dort gibt es ein Gästebuch, in welches man eintragen kann, wann man welche Vögel gesehen hat. Wir sehen keine, dafür aber haben wir einen guten Blick über den zugefrorenen Torneträsk und Lapporten - eine Art Bergformation, die einem Tor oder eine Pforte ähnelt, eben: dem Lappish Gate, Lapporten.

Auf dem Rückweg nach Tee und langen Blicken ins Endlose frischt der Wind auf und die Temperatur fällt langsam aber stetig wieder unter minus zwanzig Grad, sodass jegliches Wasserpartikel im Gesicht alsbald zu Eis wird. Wärmen uns eine ganze Zeitlang im Hostel auf, sehen die Sonne im Rosarothelldunkelblauen Himmel verschwinden und den Mond riesengroß und noch voller als gestern aufsteigen. Er ist so hell, dass er sich im entfernten Eissee spiegelt. 

Gehen noch einmal nach draußen, es ist bitterkalt, minus dreiundzwanzig Grad inzwischen. Gehen in den Wald, den Weg auf der anderen Seite vom Abiskojokk, dem zugefrorenen Fluss, an dem wir gestern schon waren. Im Wald ist es stockdunkel. Ab und zu klatschen Äste ins Gesicht. In der Ferne heulen Hunde immer wieder auf. Eine gespenstige Szenerie. Der Mond taucht alles in ein helles Licht, Polarlichter sehen wir nicht, leider. Aber es ist auch erst kurz nach drei am Nachmittag, die Dunkelheit aber lässt es sich viel später anfühlen. 

Als es kaum noch möglich ist, die Augen zu öffnen, da das Eis die Wimpern zusammenfrieren lässt, beschließen wir zurückzukehren. Eine warme Dusche und ein warmes Essen später ist der Körper wieder auf Normaltemperatur. Sitzen jetzt am gleichen Fenster wie gestern und warten auf Polarlichter. Die Vorhersage ist eher mau, die aktuelle Aktivität ist bei Stufe Eins und noch weit davon entfernt, Schweden zu erreichen. Aber es bleibt spannend. Falls es heute nichts mehr wird: morgen in Narvik ist die nächste Chance.

Tag 6. Abisko - Narvik. 

Freitag, 17.01.14



Checken aus, frühstücken und sind überrascht, dass der Zug nach Narvik scheinbar pünktlich abfahren soll. Die letzten Tage war immer eine Verspätung von sechzig Minuten und mehr angezeigt. Der Weg führt größtenteil eingleisig an den Bergen entlang. Je näher man Norwegen kommt, desto verschneiter wird es, alles, was nur eine minimale Fläche besitzt, ist von Schnee und Eis bedeckt. Die Berge werden höher, überall ragen sie hervor. Nach der norwegischen Grenze und ununterbrochenem Bergauf sieht man die ersten Fjorde ins Land hineinreichnen. Auch das wieder eine ganz und gar surreale Szenerie: der Zug zwischen den Bergen in höchsten Höhen, alles ächzt unter der Last des Schnees; unten dunkelblaues Wasser und ab und zu ein kleines Siedel. Die Häuser verlieren langsam ihre schwedenrote Farbe und wechseln über in ein Gelb oder Grün; der Himmel in einem liquiden Übergang zwischen blau, rot, rosa, orange und gelb. Der Zug schlängelt sich um enge Kurven, passiert laut hupend unzählige Tunnel um irgendwann am Nachmittag im Sonnenuntergang in Narvik anzukommen.

Da sind wir nun also. Am gefühlten Ende der Welt. Und es ist laut. Autos, Schüler, Zivilisation. Narvik ist größer als gedacht, eine richtige Stadt, es riecht nach Abgasen und ist dementsprechend ungemütlich. Begeben uns zum Hostel, der Inhaber ist nicht da, ich rufe an und wir checken ein. Kein Schlafsaal wie erwartet, sondern ein Doppelzimmer. Luxus zwar, doch für den gleichen Preis. Gehen etwas durch die Stadt, enden auf dem Weg, will sagen: auf der Suche nach dem Hafen im Industriegebiet und müssen umkehren. Der Weg führt durch Autowerkstätten und Einkaufszentren zurück zum Hostel. Der Chef, Frank, ist da, wir bezahlen und er lädt uns für den Abend in seinen Pub ein. Es ist zwar Nebensaison und nicht so viel los, aber bis drei vier Uhr sollte schon offen sein, meint er. Klingt nach einem Plan. Doch zunächst: da Narvik an sich nicht wirklich was zu bieten hat außer Skilifte und Skihänge, gehen wir einen langen Weg bergauf um schließlich über der Stadt zu stehen und einen Gesamtausblick über Narvik zu haben. Von hier oben sieht es gar nicht mal so schlimm aus wie in echt. Schlimm ist vielleicht das falsche Wort, uninspirierend trifft es wohl eher.

Kaufen in einem Supermarkt namens REMA1000 ein und kehren zurück zum Hostel. In der Küche sitzt ein Tscheche, Sasha heißt er. Wir kommen später bei Whiskey ins Gespräch, er ist seit 2000 unterwegs und seit zwei Wochen in Narvik und lebt meistens auf der Straße, will sich einen Job suchen und ist diese eine Nacht nur ins Hostel gekommen, weil er eigentlich seine Wäsche waschen wollte. Doch das Hostel hat keine Waschmaschine. So ist er dennoch hier, kocht sich essen und teilt seinen Whiskey mit uns, nutzt mein Notebook, um seine SD-Cards mit neuer Musik zu beladen (was, wie er später zugeben wird, auch der Hauptgrund war, uns anzusprechen). Als der Schnaps alle, er betrunken und seine Cards voll, gehen wir nochmal in den erwähnten Pub. Hier trifft sich anscheinend sowohol die Hipstergemeinde Narviks als auch gescheiterte Existenzen auf der Suche nach Glück. Eine Gruppe Pseudohipster fährt mit dem Taxi vor, eine Mutter kommt mit ihrer Tochter auf ein Bier vorbei, zwei sichtlich betrunkene Norweger tanzen unrhythmisch zu Michael Jackson oder was auch immer das ist. Die Konsequenz des Abends: ein Bier siebzig für norwegische Kronen, umgerechnet etwa acht Euro. Ein Hoch auf die Erfindung der Visakarte. 

Früher am Tag erhalte ich übrigens eine SMS von der SJ. Unser Zug morgen ist eingestellt und wird zwischen Narvik und Kiruna per Bus ersetzt. Der Grund dafür ist: Kälte. In und um Kiruna sollen es morgen vierzig Grad minus werden, die Züge und Signale könnten einfrieren und damit auch die Passagiere. Ein neuer Bus ist schnell besorgt, wenn ein Zug defekt ist, dauert es und es wird kalt. Die Regionalzuggesellschaft Norrtag stellt sogar alle Züge dieses Wochenende ein, ohne Ersatz. Auf dieser Reise war bis jetzt noch nicht eine Strecke planmäßig. Und es geht weiter. Abenteuer SJ. 

Heute übrigens keine Polarlichter. Das war's wohl für dieses Jahr.

Tag 7. Narvik - Kiruna (- Boden - Stockholm).

Samstag, 18.01.14


Die Küche im Spor1 Hostel hat einen entscheidenden Vorteil: sie hat einen Geschirrspüler. So können wir in Ruhe frühstücken und mit einer halben Stunde Verspätung auschecken. Ist ja bis auf uns und Sasha niemand da. Der steht dann, als wir gerade das Gelände verlassen wollen, erst auf und raucht eine vor der Tür. Mir scheint, die Check-Out-Zeit um elf Uhr ist eher so eine freiwillige Sache, niemand hält sich wirklich dran. 

Am Bahnhof keinerlei Informationen zum ausfallenden Zug oder seinem Ersatzbus. Kurz nach zwölf fährt ein großer Bus vor und es stellt sich heraus, dass es besagter Ersatzbus ist. Der Busfahrer fotografiert den Fahrplan mit seinem Smartphone, stellt den Bus als Zug in Busverkleidung vor und macht auch allgemein einen eher kumpelhaften Eindruck. Er erzählt, dass die alten schwedischen Züge nicht eingefroren sind, aber seit die SJ französische Züge nutzt, ist die Kälte ein Problem. 

Wir fahren planmäßig ab und kommen planmäßig in Kiruna an. Die Fahrt verläuft noch etwas näher an den Fjorden als die Hinfahrt per Zug. Der Sonnenuntergang verzaubert ein weiteres Mal vollends. Es ist kurz nach zwei und die Sonne ist bald komplett verschwunden. In Kiruna ist es stockdunkel, nur ein kleiner orangener Schein am Horizont verbleibt. Von den minus vierzig Grad spüre ich nicht so viel, vielleicht weil der Weg vom Bus zum Zug gerade einmal eine Minute beträgt. Der Zug ist im übrigen nur drei Wagen lang, deren Ziel nicht Stockholm sondern Lulea ist. Höre, wie jemand meint, dass der Nachtzug nach Stockholm wohl in Boden stehen soll. Vom Zugpersonal kommt keine Information. Es bleibt spannend. 

In Luleå steigen wir um, der Nachtzug steht bereit. Mit uns im Abteil Schweden und Franzosen, wir unterhalten uns über Dinge - es reicht von Standardsmalltalk über Stereotypenaustausch bis hin zu politischen Themen. Solange bis es hungrig wird und wir im Bordrestaurant Pasta essen. Der Zug steht still, die Signale sind gefroren und müssen erwärmt werden. Vierzig Minuten. Dennoch soll die Verspätung bis Stockholm wieder drin sein, so der Zugschaffner.

Im Nachbarabteil Jugendliche, laute Jugendliche. Schauen sinnlose Filme, außer Schüsse und Schreie erkennt man nichts von alledem. Wache immer mal wieder auf, immer noch keine Ruhe im Nachbarabteil. Aber die Bequemlichkeit und die Müdigkeit lässt mich schnell wieder einschlafen. Die vorletzte Nacht der Reise und die letzte in Schweden. Es geht nach Hause...

Tag 8. Stockholm - Malmö - Kopenhagen (- Dresden).

Sonntag, 19.01.14


Kommen pünktlich in Stockholm an. Das erste mal. Dagnys baut um, gerade jetzt, gerade jetzt wo ich dort wieder frühstücken wollte. Kaufen lauwarmen Kaffee und weiche Brötchen am Interims-Dagnys. Gehen noch einmal im Coop einkaufen und steigen dann in den X2000 nach Malmö. Je südlicher man kommt, desto höher die Hipsterquote. Das hipste Volk der Erde: immer noch die Schweden, so scheint es. 

In Malmö gehen wir kurz raus. Es ist grau, es stürmt und es ist schneelos. Malmö ist wie immer, einzig allein der große Weihnachtsbaum in der Mitte des zentralen Platzes ist anders. Die Fahrräder am Bahnhof sind reihenweise umgefallen, windbedingt. Hier und da sieht man gescheiterte Existenzen in Mülleimern nach etwas Brauchbarem oder Pfand suchen. Ich erinnere mich kurz an 2008, da sah man so etwas nicht. Schweden verliert seinen Glanz als Wohlstandshochburg jährlich. Oder es fällt mir einfach nur immer mehr auf. Wahrscheinlich das. Wenn die Verzauberung einmal nachlässt, entdeckt man die Realität. Darum ging es auch gestern im Zug: SChweden hat ein großes Problem mit der Sozialität. Die Unruhen in Malmö und Stockholm, die vielen Obdachlosen, all das ist früher - für mich - kein Thema gewesen. Nun ja. We live and learn.

Hipsterquote in Malmö: 8000. Fahren nach Kopenhagen weiter, der Weg über den Öresund im Dunkeln, das Meer ist nicht zu erkennen. Der Nachtzug nach Dresden fährt pünktlich ab, bis jetzt sind wir allein im Abteil. Doch die Schaffnerin meint, es wird voll und wir sollen doch das nächste Mal lieber ein Viererabteil buchen, das wäre schöner und gemütlicher. Nungut. Fürs nächste Mal. Jetzt im Moment rollt der Zug und morgen in aller früh sind wir zurück in Dresden, zurück in der Heimat. Ob das so gut ist; ich weiß es - wie immer - nicht.